Rückerstattung von Elternbeiträgen: 14 Kläger gewinnen gegen den Landkreis Stade, Urteile vom 23. November 2016

Erleichterung bei den Eltern

 

Ein wichtiger Meilenstein für angemessene Elternbeiträge. 14 Kläger haben gegen den Landkreis Stade in Gerichtsverfahren wegen der Erstattung von Elternbeiträge für Kindertagespflege aus den Jahren 2009 bis 2013 gewonnen (Urteil vom 23. November 2016). Durchschnittlich werden Elternbeiträge von knapp 1.600 Euro pro Klageverfahren erstattet. In einem Fall über 3.000 Euro. In 12 Verfahren wurden die Kläger von der Rechtsanwältin Angela Heinssen, Kanzlei-an-der-Lühe, vertreten.

 

Der Landkreis Stade bereicherte sich zu Unrecht auf Kosten der Eltern

 

Der Landkreis Stade hatte sich unter Verweis auf die Bestandskraft der Bescheide geweigert überzahlte Elternbeiträge zu erstatten. Die Überzahlung der Elternbeitäge war vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Juni 2013 mit Beschluss festgestellt worden. Die Überdeckung führte nach Meinung der Richter zur  Nichtigkeit der Kindertagespflegesatzung des Landkreises Stade. Der Landkreis Stade hatte daraufhin zwar die Kindertagespflegesatzung rückwirkend ab 2009 geändert, rechtswidrigen Elternbeitragsbescheide wurden aber nicht aufgehoben und die überzahlten Elternbeiträge nicht erstattet.

 

Klares Urteil des VG Stade

 

Das Verwaltungsgericht Stade hält die Vorgehensweise der Landreises Stade für rechtswidrig und hob die bestandskräftigen Bescheide nun auf, soweit sie nicht der geänderten Satzung enstprachen. Anschließend verpflichtete das Verwaltungsgericht den Landreis Stade zur Erstattung der Elternbeiträge.     

 

Auch die anderen Eltern können nun Erstattungsanträge stellen 

 

Betroffen sind auch mehrere hundert weiterer Betreuungsverhältnisse aus den Jahren 2009-2013. Eltern können nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nun einen Erstattungsantrag stellen, auch wenn der Bescheid bestandskräftig ist. Sie sollten sich dazu wegen der Fristen rechtsanwaltlichen Rat suchen.

 

Für den Landkreis bedeutet die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass er nun mit Erstattungforderungen in Höhen von mehreren hundertausend Euro rechnen muss.

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Tagespflegepersonen haben kein Recht auf Mindestlohn?

Mit einem skandalösen Urteil hat das OVG NRW am 30. August 2016 festgestellt, dass Tagespflegepersonen für die Leistung der Betreuung, Erziehung und Förderung von Kindern keinen Anspruch auf eine angemessene Vergütung bzw. eine angemessene und auskömmliche Vergütung im Sinne eines den lebensunterhalt sicherstellenden Einkommens haben (Rn. 52, 83). Der Anerkennungsbetrag für Tagespflegepersonen müsse sich lediglich an dem Pflegegeld von Pflegeeltern, die ein Kind Vollzeit in ihre Familie aufnehmen, orientieren (Bundestagsdrucksache aus 2004! also vor dem Kinderförderungsgesetz, Rn. 50). Die Kindertagespflegeperonen hätten sich seit 2008 (Inkrafttreten des Kinderförderungsgesetzes auch nicht nachhaltig und nachweisbar qualifiziert, dass sich die Feststellung erlaube, nunmehr gelte mit Blick auf die Qualifikation der Maßstab der angemessenen Vergütung (Rn. 52). Auch der Mindestlohn gelte nicht für die Kindertagespflegepersonen, da sie nicht angestellt seien (Rn. 89). Im übrigen wird beim Vergleich mit dem Mindestlohn wirklichkeitsfern nur auf die direkten Betreuungsleistungen am Kind und nicht auf die indirekten Betreuungsleistungen (Vor- und Nachbereitung, Verwaltung, Elterngespräche usw.) abgestelllt.

 

Mit keinem Wort prüft das OVG NRW die Verfassungrechte der Kindertagespflegepersonen! Dabei gab es schon im Jahr 2000 eine klare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unter welchen Umständen zu geringe Vergütungen die Berufsfreiheit verletzen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 16. März 2000 zur Vergütung von Betreuern festgestellt, dass auch Vergütungsregelungen in die Berufsfreiheit eingreifen können. BVerfG Beschluss vom 16. März 2000, 1 BvR 2005/99 (Rn. 21). Der Eingriff ist nur dann mit Art. 12 GG vereinbar, wenn er durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit wahrt. Gründe des Gemeinwohls können die Rechtssicherheit, die Kalkulierbarkeit der Einnahmen, die Entlastung der Gerichte, die Begrenzung der Staatsausgaben sein (Rn. 23). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist jedenfalls dann verletzt, wenn die Einkünfte unzumutbar sind (Rn. 30).  Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Kindertagespflegepersoen ist nicht gerechtfertigt! Der Eingriff ist vielmehr unverhältnismäßig, da er zu unzumutbaren Vergütungen führt. Der Anerkennungsbetrag für die Förderleistung entspricht bei Berücksichtigung der indirekten Betreuungszeiten, wie Vor- und Nachbereitung und administrativen Aufgaben nicht einmal dem Mindestlohn

 

Das OVG NRW stellt in seiner Entscheidung nur fest, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet seien, eine Bewertung der (Förder-) leistung vorzunehmen, allerdings sei es schwierig eine finanzielle Bewertung der Leistung der Kindertagespflege vorzunehmen, da es keinen Marktpreis gebe angesichts der inzwischen überwiegend öffentlichen Finanzierung der Kindertagespflege. Daher könne allein auf die Bezahlung von Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen in Kindertageseinrichtungen zurückgegriffen werden (Rn. 66) Das gelte schon wegen der Gleichwertigkeit der Förderung der Kinder in Kindertagespflege und Kindertageseinrichtungen (§ 24 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Satz 3 SGB VIII). Dabei könne allerdings ein deutlicher Abstand zum Gehalt einer Erzieherinnen und Kinderpflegerin gelten.

 

Wichtig ist an dieser Stelle, dass das OVG NRW immerhin grundsätzlich die Zahlung einer laufenden Geldleistung für organisatorische und verwaltende Tätigkeiten als zulässig ansieht und den Wortlaut des § 23 Abs. 2 SGB VIII weit interpretiert. Zwar betreffe der Anerkennungsbetrag in erster Linie die kindbezogenene Leistung der Tagespflegeperson. Allerdings könne die Förderleistung in einem deutlich weitergehenden Sinne interpretiert werden, als ihr darüber hinausgehende (organisatorische,verwaltende) Tätigkeiten quasi zugerechnet werden, weil ohne diese weiteren Tätigkeiten die Förderleistung (im engeren Sinne) in der Tagespflege nicht erbracht werden könne (Rn. 72). Überraschend ist dann aber die unbegründete Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, dass die Bezahlung der gesamten Tätigkeit im alleinigen Beurteilungsspielraum des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe liege und die organisatorischen Tätigkeiten auch unberücksichtigt bleiben könnten und auch die Unterschiede in den Qualifikationen der Kindertagespflegepersonen nicht berücksichtigt werden müssten. Überraschend dann auch die knappe und unbegründete Feststellung, dass organisatorische und verwaltende Tätigkeiten den Sachkosten zugerechnet werden könnten (Rn. 88)

 

Falsch ist auch die Behauptung, dass von einer Vollauslastung der tagespflegeperson ausgegangen werden müsse, soweit der Anerkennungsbetrag für die Förderleistung der Kindertagespflegeperson mit dem Gehalt einer Erzieherin verglichen werde. Denn das OVG NRW verkennt die Systematik des SGB VIII bezüglich der Finanzierung der Kinderbetreuung. Unberücksichtigt läßt das OVG NRW, dass zum Beginn eines Kindergartenjahres und auch während eines Kindergartenjahres weder in der Kindertagesstätte noch in der Kindertagesstätte eine 100 prozentige Auslastung der Kapazitäten vorliegt. Während der Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen des Defizitausgleichs auch Überkapazitäten der Kindertagesstätten finanziell ausgleicht, wird das finanzielle Risiko der freien Kapaziäten auf den Tagespflegepersonen aufgelastet (Rn. 84). Diesen Zusammenhang übersieht das OVG NRW. Das gleiche gilt für die erleichterten Kündigungsrechte in der Kindertagespflege innerhalb des Kitajahres, die eine besonderes finanzielles Risiko für die Kindertagespflegepersonen darstellen. Der Vergleich mit einer Erzieherin in der Kindertagesstätte hinkt daher, wenn nicht das gesamten System der Finanzierung der Kinderbetreuung in Augenschein genommen wird.

 

Verfassungswidrig dürfte auch die Beurteilung des Zuzahlungsverbotes durch das OVG NRW sein. In der Entscheidung hätl es dass Zuzahlungsverbot schon deshalb für rechtmäßig, weil es ja einen Anerkennungsbetrag gebe (Rn.90). Ein Zirkelschluß, der sich in keiner Weise mit dem Recht auf Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG auseinandersetzt.

 

Das Urteil des OVG NRW vom 30. August 2016 liegt nun dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. Es ist zu hoffen, dass das Bundesverwaltungsgericht zugunsten einer angemessenen Geldleistung für Kindertagespflegepersonen entscheidet. Gleichzeitig ist die Politik gefordert. Es kann nicht zugelassen werden, dass Kindertagespflegepersonen keinen Anspruch auf einen Mindestlohn für alle geleisteten Stunden, direkte und indirekte Betreuungsstunden  haben. "Kindertagespflege ist kein Hobby"

 

 

 

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Großer Erfolg vor dem OVG Schleswig im Normenkontrollverfahren, Kindertagespflegesatzung nichtig- Elternbeiträge rechtswidrig

Mit Beschluss vom 22. September 2016 hat das OVG Schleswig festgestellt, dass die Kindertagespflegesatzung des Kreises Pinneberg nichtig ist. Noch im letzten Moment hatte der Kreis Pinneberg mit Anpassungen der Satzung erfolglos versucht, die eindeutige Entscheidung des OVG Schleswig abzuwenden. Sowohl die Fassung der Kindertagespflegesatzung ab dem 1. August 2014 als auch die Fassung der Kindertagespflegesatzung ab dem 1. August 2016 ist rechtwidrig und damit nichtig, erklärten die Richterinnen. Es fehlt schlicht an der vom Gesetzgeber vorgesehenen Sozialstaffel. Bewußt hatte die Verwaltung und die Politik im Kreis Pinneberg komplizierte Antragsverfahren in die Gewährung von Zuschüssen zu den Elternbeiträgen eingebaut.

 

Zunächst wurden 100 Prozent der Kosten der Kindertagespflege gefordert. Wollten Eltern für die Kindertagespflege den gleichen Elternbeitrag zahlen, wie für die Krippe, musste ein sogenannter Differenzkostenantrag gestellt werden. Bedingung war ein rechtswidrig geforderten Nachweis, dass kein Krippenplatz frei sei. Ziel war es mit diesem Antragsverfahren viele Millionen zu sparen. In dem Unterlagen des Kreises Pinneberg heißt es dazu:

 

 

Es ist davon auszugehen, dass sich bei einer Übernahme der Differenzkosten ohne Nachweispflicht die Abrechnungsfälle für den Kreis Pinneberg deutlich erhöhen würden, weil Eltern nur durch die Abrechnung über den Kreis in den Genuss der Übernahme der Differenzkosten kommen. Bei einem angenommenen Anstieg auf 1000 Abrechnungsfälle würden sich die Mehrkosten nochmals um 581.400 € erhöhen, so dass dann insgesamt Mehrkosten in Höhe von 1.490.322 € entstehen würden.(VO/FD 31.15.250, Jugendhilfeausschuss vom 21. Mai 2015)“

 

 

Eltern, die bisher nicht von der Sozialstaffel bzw. dem Differenzkostenausgleich profitiert haben, sollten schnell jetzt einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellen.  Damit drohen dem Kreis Pinneberg Erstattungen in Höhe von mehreren Millionen Euro.

 

Bereits in den Jahren 2013 und 2015 hatte die Frauen-Rechtlerin Angela Heinssen mit ihren Klagen gegen die Kindertagespflegesatzung des Landkreises Stade Erfolg vor dem OVG Lüneburg. Sowohl die Satzung aus dem Jahre 2009 als auch die geänderte Fassung aus dem Jahr 2013 wurden für nichtig erklärt (OVG Lüneburg Beschluß vom 21. Juni 2013 und OVG Lüneburg Urteil vom 29. September 2015) Zurzeit sind über 100 Klagen gegen überhöhte Elternbeiträge und auf Erhöhung der laufenden Geldleistung für Tagespflegepersonen anhängig. Rechtsanwältin Angela Heinssen vertritt Mandant*innen bundesweit.